Die Aufgabe der Recyclingspezialisten

Die Saprophyten

Eine zweite, ganz wichtige Aufgabe unserer Großpilze in der Natur besteht darin, tote Materie jeglicher Art zu zersetzen, daraus die für sich selbst benötigten Nährstoffe zu gewinnen und den Rest der Wiederverwertung zuzuführen. Die Pilze sind also lange, bevor wir Menschen den grünen Punkt erfunden hatten, schon auf diesem Gebiet tätig gewesen. Um eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie unsere Erde aussähe, gäbe es diese Recyclingspezialisten nicht, wird dies nachfolgend kurz skizziert:

Kein Baum, kein Strauch, nichts, was mal gelebt hat und abgestorben ist, würde mehr verfaulen, zerfallen und damit wieder zu Erde werden. Eine Humusschicht könnte sich nicht bilden, denn die besteht ja aus verrottenden Pflanzenteilen (Torf), und somit würden aus Mangel an Nahrung auch keine neuen Pflanzen mehr nachwachsen können. Dies hätte zur Folge, dass kein Wasser mehr im Erdreich gebunden und kein neuer Sauerstoff in die Atmosphäre abgegeben würde. Damit wäre auf der vorhandenen oder wieder entstandenen Steinwüste (ist Ähnliches vielleicht auf dem Mars passiert ?) kein Leben mehr möglich.

Stubben mit Braunfäule  Stubben

- Stubben mit Braunfäule -

Die Stubben sind mit Moos bereits vollständig überwuchert, Knoblauchrauke und Brennnessel wachsen obenauf und Ehrenpreis umwuchert den Stubben.
Das obere linke Bild zeigt auch die mit der Hand ausgebrochenen und zerbröselten Stubbenholzteile oben auf dem Stubben.
Auf diesen Stubbben wachsen z. B. auch gerne die Maiporlinge.

Maiporling  Maiporling
 
- Maiporling -
- Polyporus ciliatus (Fr., P.) -
- Norwegisch: Finporet vinter-stilkkjuke -
- Kein Speisepilz -

Wer schon mal auf Spitzbergen war, weiß, wovon ich spreche. Dort oben ist es im Jahresdurchschnitt so kalt, dass die sogenannte Vegetationsperiode durchschnittlich nur wenige Wochen im Jahr dauert. Dadurch entstehen Verhältnisse, die den zuvor geschilderten jedoch aus anderen Gründen sehr nahe kommen. In den sehr kurzen, frostfreien Perioden sind kryptogame Pflanzen (sporenbildende Pflanzen wie Flechten, Moose, Farne und Pilze), aber auch winzigste einzellige Lebewesen und Bakterien, die sich alle der toten Materie zu Ernährungszwecken annehmen, nicht in der Lage, allzu zerstörerisch zu wirken.

Das Ergebnis ist, dass wir heute noch in der Arktis die Spuren längst vergangener Zeiten in Form von Besiedlungsrelikten, Bretterbuden, Eisenresten usw. finden, die in unseren mittleren Breitengraden schon seit Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten recycelt und gänzlich verschwunden wären. Dort in diesen Regionen unserer Erde ist Zeit ein für uns nicht vorstellbarer Begriff, und auch das Recycling dauert dementsprechend sehr viel länger als normal. Dies ist ebenfalls ein weiterer Grund dafür, weshalb der Mensch, der sich dieser Tatsache heute ja voll bewusst ist, mit den Naturressourcen Arktis und Antarktis noch viel schonender und vorsichtiger umgehen sollte als mit den sonstigen Regionen unserer Erde.

Die Hauptaufgabe der Pilze besteht somit darin, die durch Wiederverwertung und Rückgewinnung erzeugten Rohstoffe dem Naturkreislauf wieder zuzuführen, und dieser Prozess beginnt kurz nachdem eine Pflanze oder ein Baum abgestorben sind.

Wie wir alle wissen, ist der Baum von einer Rinde umgeben, die ihn vor äußeren Krankheitserregern und anderen negativen Einflüssen schützen soll. Solange der Baum gesund und vital ist, gelingt dies auch, wenn nicht der Mensch mit dem Messer, der Axt, der Säge oder auch mit dem Auto meint, einen "Crashversuch" an dem Baum ausprobieren zu müssen. Zu den Folgen solcher Verletzungen kommen wir im nächsten Kapitel.

Fällt der Baum jedoch um, weil er aus Altersgründen oder z. B. wegen eines Sturmes die Last seiner Krone nicht mehr tragen kann, dann stirbt das innere Zellgewebe, das jetzt nicht mehr mit Nährstoffen versorgt wird, ganz schnell ab, der Baum ist tot. Dies ist die Zeit der ersten Pilzarten, die sich darauf spezialisiert haben, die Rinde zu knacken, und viele von ihnen tragen deshalb auch den deutschen Namen "Rindensprenger", wie das Buchen- oder Eichen-Eckenscheibchen, der Spaltblättling, der Schmutzbecherling u.v.a.m.

Spaltblätterling Spaltblätterling

- Spaltblättling -
- Schizophyllum commune -
- Norwegisch: Kløvsopp -
- ungenießbar -

Gleichzeitig bereiten sie den Boden für nachfolgende Pilze, Bakterien, Einzeller usw., die, ohne dass die Rinde aufgebrochen wurde, dem weichen immer noch saftigen inneren Holz nicht zu Leibe rücken konnten. Hierzu gehören der Austernseitling, die Schwefelköpfe, viele Porlinge, Trameten usw.

Rötende Tramete Rötende Tramete

Rötende Tramete,
- Daedaleopsis confragosa - ,
- Norwegisch: Teglkjuke -,
- ungenießbar -
© 2001 by Rainer Brela, Hamburg

Alle diese Pilze, die sich von dem inneren Zellmaterial ernähren, bauen entweder die Zellulose oder das Lignin und ab und zu auch beides gleichzeitig ab, welche der Baum einmal zu seinen Lebzeiten produziert hatte und auf deren Zähigkeit und Festigkeit er sich in all den Jahren, die er stand, verlassen konnte.

Wird durch den Pilz hauptsächlich Lignin abgebaut, also das, was im Zellinneren des toten Holzes vorhanden ist, wird das Holz hell und leicht, und der Förster spricht von "Weißfäule". Dies ist hauptsächlich bei Laubbäumen der Fall. Wird dagegen hauptsächlich Zellulose abgebaut, die in den Zellwänden enthalten ist, wird das Holz braun und zerfällt in würfelige, krümelige Elemente. Hier spricht der Fachmann von "Braunfäule", und diese kommt zumeist in Nadelwaldbeständen vor. Diese Vorgehensweise lässt deutlich erkennen, dass es unterschiedliche Pilze sein müssen, die sich der Laub- bzw. Nadelbäume annehmen.

Der tote Baumstamm ist jetzt stetigen Änderungen unterworfen, und je nachdem, welchen Zustand des Zerfalls er erreicht, sind es immer wieder neue, auf diesen Zustand spezialisierte Arten, welche die weitere Recyclingarbeit übernehmen und dabei die vorherigen Pilze und kryptogamen Pflanzen verdrängen. Diese fortlaufende Veränderung, das Kommen und Verschwinden einzelner Pilzarten, das solange geht, bis zum Schluss ein moosüberwucherter Haufen Humus übrigbleibt, auf dem schon wieder Blumen, Farne Gräser wachsen, nennt der Pilzfachmann "Pilzsukzession" (Reihenfolge der Zersetzung).

Die Rückbildung einmal aufgebauter Pflanzenmaterie bis hin zum Humus, auf dem neue Pflanzen wachsen können, dauert viele Jahre und ist auch von der Härte des Materials, das besiedelt wurde, abhängig. Während z. B. Weichholzbäume - wie Fichte und Kiefer - in ca. 15 Jahren soweit abgebaut sind, dass von ihrem Baumstumpf praktisch nichts mehr zu sehen ist, kann der gleiche Prozess bei Eiche oder Buche 20 - 25 Jahre andauern. Bereits nach 10 - 15 Jahren ist es jedoch nicht mehr ratsam, auf einen derart alten Stumpf zu treten, weil man sonst allzu leicht einbrechen könnte.

Erste Anzeichen für eine solch brüchige Stelle sind völlig mit Moos oder Flechten überwucherte Stümpfe mit beginnendem Gras- oder Farnbewuchs und vor allem das Auftauchen völlig atypischer Pilzarten wie Trompetenpfifferling oder Maronenröhrling, die auf dem Stumpf wachsen, aber ganz sicher keine Saprophyten, sondern Mykorrhizapilze in Symbiose mit lebenden Bäumen sind. Diese Pilze zeigen an, dass sich unter dem entsprechend besiedelten Baumstumpf oder vielleicht sogar in den tieferen Schichten des Baumstumpfs, der sich in der letzten Phase der Auflösung hin zum Humus befindet, bereits die Baumwurzeln benachbarter Bäume wieder ausgebreitet haben, deren Pilzpartner uns jetzt narren möchten, was sie jedoch nicht schaffen, oder ?

Die Pilze zersetzen auch Pflanzenmaterialien, die Mensch und Tier aufgrund diverser anderer Problematiken gar nicht verwerten könnten, selbst wenn sie wollten. Dies können Giftstoffinhalte in den Pflanzenzellen oder holzig-zähe Teile sein, die nicht verzehrbar sind (kein Tier, kein Mensch beißt sich, auch wenn er gerade Hunger hat, ein Stück vom Eichen-/Buchenstamm ab, es sei denn, er gehört der Familie der Biber oder der Holzwürmer an :-)). Es könnten auch Eisen-, Betonteile oder feuchte Kellerwände sein. Es gibt fast nichts, was Pilze nicht besiedeln und zersetzen können.

Beispiele für weitere Substrate, die von Pilzen belegt und im Laufe der Zeit auch in kleinste Bausteinchen der Natur zurückgeformt und zerlegt werden, sind alle Arten toter organischer Materie, also auch Tier und Mensch, die hier zum Speisezettel bestimmter, darauf spezialisierter Pilze zählen. Allerdings finden wir nur wenige Exemplare, die so groß sind, dass sie zu unseren Großpilzen gehören (z. B. die Puppenkernkeule auf toten Insektenpuppen).

Das Besiedeln und Zersetzen solch toter Materie jedweder Art nennt man in der Fachsprache "Saprophytismus", und dementsprechend heißen die Pilze, die solches tun, Saprophyten. Die Pilzgruppe der Saprophyten ist die wichtigste unter den Großpilzen, und eine große Anzahl guter Speisepilze ist hier einzuordnen, so z. B. unsere allseits beliebten Champignons, die Austernseitlinge, der Shiitakepilz und auch alle anderen Zuchtpilze gehören zu dieser Gruppe.

Es ist bis heute noch nicht gelungen, Pilze aus der Gruppe der Mykorrhizapilze, z. B. Steinpilz oder Pfifferling, zu züchten. Zwar gibt es zwischenzeitlich vielversprechende Versuchsergebnisse aus dieser Zuchtrichtung, welche jedoch bis heute das Retortenstadium noch nicht verlassen haben. Das derzeitige Kosten-/Nutzenverhältnis befindet sich ökonomisch gesehen noch in einer unrentablen Schieflage, und die Pilze verweigern auch noch ihre Mitarbeit.

Der geheimnisvolle Vorgang der Symbioseverbindung von Pilz und Pflanze lässt sich bis heute durch den Menschen noch nicht vernünftig in einem Labor nachvollziehen, was hauptsächlich bedeutet, dass bislang aus allen Versuchen, die man unternahm, kein ökonomischer Nutzen zu ziehen war.
Ein Beispiel für eine Mykorrhizazüchtung - wenn man davon sprechen kann - ist die regelmäßige Beimpfung junger Eichensetzlinge in Frankreich und Italien mit Pilzsporen und Hyphen der Trüffel, einem bekannten und begehrten Speisepilz, der pro Kilogramm Preise bis zu 8.000 DM erzielt.
Ob dann allerdings die Eiche den Impfling annimmt oder der Pilz die Eiche als Wirt akzeptiert, liegt nach wie vor nicht mehr in der Hand des Menschen, und viele Setzlinge müssen mehrfach geimpft werden, bis es den Anschein hat, dass eine Verbindung stattgefunden hat.

Erst dann werden die jungen Setzlinge ausgebracht und in Reih und Glied gepflanzt. Danach heißt es Jahre, gar Jahrzehnte zwischen Bangen und Hoffen abzuwarten, bis endlich zur Erntezeit erkennbar wird, wie erfolgreich die Impfung des Setzlings tatsächlich war.
Zwar ist durch diese gezielte Beimpfung der Pilz selbstverständlich deutlich vermehrt worden, aber ein Zuchterfolg ist das nicht, und die Preise für die Trüffel erreichen weiterhin schwindelerregende Höhen.

Genau diese Preise sind es jedoch, die dazu führen, dass jemand, der einmal "Wildwest in Europa" live erleben möchte, nur im November oder Dezember in die berühmten südfranzösischen Trüffelgebiete bzw. in die Gegend rund um Alba (Italien) fahren muss und dort unvorsichtigerweise einen Waldspaziergang macht.
Zu dieser Zeit kann es leicht passieren, dass den Waldspaziergängern die Kugeln nur so um die Ohren fliegen, denn jeder Spaziergänger wird dort als potenzieller Trüffeldieb angesehen. Der Pilzkenner geht halt zur Trüffelzeit nicht im Wald spazieren.

So berichteten norwegische Mykologen, die auf Einladung des italienischen Pilzkundevereins in Alba waren, von ihrer Trüffelreise, dass sie nur ein einziges Mal eine Führung in einem "angeblichen" Trüffelwald erhielten und dabei nur der italienische Begleiter eine einzige mickerige Trüffelknolle ausgegraben hatte. Alle weiteren Trüffel fanden die Norweger einzig auf dem Markt in Alba zu oben erwähnten Preisen.