Mitgliederbericht
 

Ort: Norwegen, Schweden, Finnland

Zeit: 15.7.-06.8.1992

Autor:

Postweb.de - Familienarchiv Post
Sebastian Post   Mail


Nördlich von nirgendwo oder Mit dem Rad durch Lappland
 

Mit dem Fahrrad 1300 Km durch Lappland

Ein Reisetagebuch Teil II



Donnerstag, 23.7.

Wettermäßig sollte dieser Tag besser aus dem Tagebuch gestrichen werden. Zunächst sind wir aber erst einmal froh, dass am Morgen der ständige Regen nachlässt und gegen 11 Uhr ganz aufhört. Wir beschließen, noch ein wenig abzuwarten und dann aufzubrechen. Relativ trocken bekommen wir das Zelt herunter; auch unsere Kleidung ist nicht allzu nass vom Vortag.

Gegen Mittag schieben wir die Räder wieder auf die Straße und fahren los. Nach dem gestrigen Regen haben wir es jetzt mit einem neuen Gegner zu tun: dem Wind!"Der Wind kommt immer von vorn" steht als Spruch in vielen Reiseführern- und das kann ganz schön entmutigen. Zudem geht es immer noch bergauf. Wir kommen nur schleppend voran. Gegen 14 Uhr setzt auch noch Regen ein. An einem einsamen Bauernhaus versorgen wir uns mit Trinkwasser und wollen möglichst bald Schluss machen für heute. Da taucht ein Hinweisschild für eine Hüttensiedlung auf. Keine Frage: hier werden wir übernachten, egal was es kostet!

Unsere Befürchtungen sind umsonst: die Hütten gibt es zu erträglichen Preisen von 200 NOK (57 DM), einschl. elektrischer Heizung. Endlich wieder ein richtiges Bett! Hier können wir alle nassen Sachen trocknen und im Warmen kochen und essen. In einem in der Nähe liegenden Landhandel versorgen wir uns mit Getränken und Chips. Dann lassen wir es uns in der warmen Hütte gut gehen. Bei einem Schnitt von nur 12,9 und einem Max von 41,2 haben wir heute lediglich 43,2 Kilometer geschafft. Es reicht uns aber. Ein Blick auf die Karte zeigt uns, dass wir über 500 Kilometer bereits hinter uns haben. Bis zum Endpunkt am Eismeer sind es etwa noch 270 Kilometer. Allerdings haben wir noch genügend zeitlichen Spielraum.

Wie wird das Wetter?

Freitag, 24.7.

Heute sieht die Welt gleich wieder freundlicher aus: wärmer und kein Regen weit und breit. Nach einer warmen Dusche wird die Hütte aufgeräumt und wir begeben uns zur nahegelegenen Post, um unsere zusammengeschmolzenen Kronenbeträge aufzufrischen. Leider macht sie erst nachmittags auf; wir werden es also nochmals in Lakselv versuchen.

Vor dieser Post stellt Sebastian betrübt fest, dass an seinem Hinterrad die Befestigungsösen der Speichen locker sind. Mit unseren Bordmitteln ist da nichts zu machen; er kann nur hoffen, dass dies nicht die Funktion beeinträchtigt. Auch kommen ihm die Speichen teilweise recht schlaff vor und er versucht sie mit dem Nippelspanner nachzuspannen.

Unterwegs treffen wir auf ein großes norwegisches Militärcamp. Die Landschaft entwickelt sich immer mehr zu einer Landschaft, wie wir sie kennen: links und rechts hohe Berge, teilweise noch schneebedeckt; Wasserfälle und enge Täler. Leider fahren wir jetzt wieder auf einer Hauptverbindungsstrecke zum Nordkap; ständig überholen uns deutsche Reisebusse, Wohnwagengespanne und Wohnmobile. Schon jetzt bedauern wir nicht mehr, dass wir auf das Nordkap verzichten wollen und stattdessen das Nordkinn ansteuern werden.

Kurz vor Lakselv soll es laut Reiseführer in steilen Serpentinen hinabgehen, was davon bleibt sind einige Bodenwellen. Wir fühlen uns um eine rasante Abfahrt betrogen. Dafür sehen wir zum ersten Mal das tiefblaue Eismeer vor uns.

In Lakselv versorgen wir uns an der Post mit neuem Bargeld; dann geht es in den Supermarkt. Da die weitere Strecke in Richtung Nordkinn wesentlich einsamer wird, decken wir uns ausreichend ein. In einer kleinen Imbissbude gönnen wir uns ein Mittagessen, bestehend aus Pölsern und Fritten. Beim örtlichen Fremdenverkehrsbüro erfahren wir Einzelheiten der weiteren Route - ein älterer Mann gibt uns nähere Informationen über den erst vor kurzem gebauten "Nordkyn-Vegen" insbesondere über seine 8% Steigung am Anfang.

Dann verlassen wir auch schon wieder Lakselv und biegen - im Gegensatz zu den "normalen" Nordkap-Touristen - nach rechts ab. Den Rest des Tages über folgen wir der Straße, die direkt am Ufer des Porsangerfjord entlang führt. Hier werden wir an unsere Fahrt 1990 entlang des Sognefjords erinnert: ständig geht es bergauf und bergab. Dafür ist die Aussicht über den sonnigen Fjord äußerst eindrucksvoll. Im Hintergrund ist schon Mageröy, die Insel, auf der das Nordkap liegt, sichtbar.

Wir dagegen wollen ja zum nördlichsten Festlandspunkt Europas, dem Nordkinn. Es geht vorbei an vielen Wasserfällen und einer geologischen Sehenswürdigkeit: hier sieht man in mehreren Schichten, wie sich im Laufe der letzten 10 Millionen Jahre das Land immer mehr aus dem Wasser gehoben hat.

Eine etwas jüngere Sehenswürdigkeit, ein Toilettenhäuschen an der Straße, begutachten wir nur von außen: hier scheint schon jemand mit Schrotmunition geübt zu haben.

Gegen Abend verlassen wir die Küstenstraße und fahren zum Meer hinab. Direkt am Strand bauen wir unser Zelt auf und kochen unser Süppchen. Zwischendurch erschein ein Bauer mit seinem Sohn und fragt uns nach woher und wohin. Wir erklären ihm, dass wir unterwegs zum Nordkinn sind, und er trollt sich wieder zufrieden.

Bei einem Strandspaziergang muß Martin sich noch recht beeilen, dass er wieder trockenen Fußes ans Land kommt; hier oben scheint ein starker Gezeitenunterbestehen.

Mit Möwengeschrei in den Ohren schlafen wir an diesem Abend ein; schon längst haben wir uns daran gewöhnt, dass die Sonne 24 Stunden am Tag am Himmel steht. Das hindert uns nicht mehr am Schlafen. Weitere 65,6 Kilometer haben wir an diesem Tag geschafft (Schnitt 13,2/Max 40,5). Wir können mit dem Erreichten zufrieden sein.

Unser Dovrefjell in der Abendsonne

Samstag, 25.7.

Eine lange, schwierige Etappe liegt laut Karte vor uns - wir kommen daher früh aus den Schlafsäcken. Bereits um 8.30 Uhr ist alles verpackt und wir starten nach Borselv, dem letzten kleineren Ort vor dem nächsten Küstengebirge, das es zu überqueren gilt.

Hier wollen wir noch einmal richtig frühstücken. Zuerst bedienen wir uns am Kaffeeautomaten im Vorraum einer der beiden Supermärkte, die einsam und verlassen an einer Straßenkreuzung liegen. Sonst gibt es hier nur eine kleine Post und eine Tankstelle. Wir verteilen unsere Kronen gleichmäßig auf beide Supermärkte und tanken Kraftreserven mit Joghurt und süßem Gebäck. Kurz hinter der Kreuzung finden wir noch ein richtiges Cafe, das wir aber nur zur ausgiebigen Morgentoilette nutzen.

Danach hält uns nichts mehr vom Anstieg zum Pass ab. Zunächst geht die Fahrt noch durch kleine Birkenwälder. Die Straße lässt sich gut fahren; das Wetter spielt prächtig mit und links und rechts bietet sich eine tolle Aussicht. Hier muss irgendwo eine zwei Kilometer lange canyonartige Schlucht liegen, die wir schon auf Postkarten entdeckt haben. Wir selbst geben uns mit einer "normalen" Schlucht zufrieden und lassen mittlere Felsbrocken in den tief unten schäumenden Fluss stürzen.

Jetzt steigt die Straße immer höher hinauf zum Borselvfjell. Erst überqueren wir die Baumgrenze, bald darauf hört jegliche Vegetation auf. Nur noch Straße und Hochfläche! Halt, und noch der Wind - aber der kommt diesmal zur Abwechslung mal von hinten!

Unterwegs treffen wir einige junge Norweger, die einen Tagesausflug zum Nordkap machen. Sie bieten uns warmen Kaffee an. Auf einer Hinweistafel erkennen wir zum ersten Mal unser Ziel: die Nordkinnhalbinsel. "Europas nordligste Fastland" heißt es auf der Tafel - auch hier wachen die Leute langsam auf und besinnen sich auf den Tourismus.



Noch ein gutes Stück bis zum Nordkyn

Mit Rückenwind erreichen wir fantastische Fahrtwerte: mit fast 60 Stundenkilometern (genau 58,6) sausen wir über das Fjell leicht bergab. Das bringt Kilometer. Bei Kunes machen wir Mittagsrast und kochen uns ein Fertiggericht. Die Räder haben wir auf einer kleinen Betonbrücke abgestellt (ohne Geländer). Da passiert es auch schon: Martins Rad kippt um und rutscht halb über die Brückenkante! Nur noch die Hinterradtaschen halten es auf der Brücke - das wäre fast das Ende der Fahrt gewesen! Aber einen guten Schutzengel braucht man eben auch.



Noch steht Martins Fahrrad

Nach der Mittagsrast geht es gleich wieder bergauf; ein weiteres "Minigebirge" zwischen zwei Fjorden muss überwunden werden. Beim Adamsfossen haben wir dafür eine eindrucksvolle Aussicht auf den Wasserfall zum Meer hinunter. Später finden wir ein Foto davon im Reiseführer wieder. Leider müssen wir an diesem Tag noch mehrmals zum Fjord hinunter und über ein Zwischengebirge zum nächsten Fjordarm weiter. Unsere Karte zeigt das leider nicht so deutlich, und wir lassen uns immer wieder aufs Neue überraschen.

Abends erreichen wir dann müde Ifjord, wo laut Reiseführer ein Campingplatz liegen soll. Wir finden ihn auch, verzichten wegen der hohen Preise und der spartanischen Ausstattung aber auf eine Hütte, auf die wir uns eigentlich schon gefreut hatten. Stattdessen suchen wir uns im entweder steinigen oder aber sumpfigen Gelände ein einigermaßen geeignetes Plätzchen für unser Zelt. In der Cafeteria gibt es warmes Lettöl für 4,50DM; Martin gönnt sich sein erstes (und einziges) "echtes" Bier (halber Liter für 11 DM). Dafür ist es wenigstens kalt und man erhält als Souvenir ein schönes Halbliterglas von "Mack-Öl".

Inzwischen sind auf dem Platz zwei andere deutsche Radler eingetroffen; sie kommen von Kjöllefjord - also da, wo wir morgen hin wollen - und haben im Prinzip die Fahrt in umgekehrter Richtung vor sich.

Wir verschwinden bald nach dem warmen Abendessen in unseren Schlafsäcken - die ständige Bergfahrerei macht müde. 86 Km waren es heute (Schnitt 15,64, Max 58,6). Noch ein, höchstens zwei Tage trennen uns von unserem nördlichen Zielpunkt.

Sonntag, 26.7.

Wieder ein Tag, an dem wir vermutlich keine geöffneten Geschäfte unterwegs finden werden. Wir haben uns also ganz auf Selbstversorgung eingestellt. Vor uns liegt die wohl einsamste Strecke der ganzen Fahrt: etwa 100 Kilometer bis zum äußersten Ende des Nordkinns.

Schon auf den ersten Kilometern kommen ganz beachtliche Steigungen, die nur in langsamster Fahrt überwunden werden können. dafür haben wir plötzlich einen Begleiter: ein kleiner, struppiger Köter folgt uns unaufhörlich und lässt sich durch nichts davon abhalten. Wir taufen ihn "GS" und überlassen ihm die Entscheidung, wie weit er uns folgen will. Kurz vor der Frühstückspause erreicht Martins Tacho die 2000er Grenze (seit der Deutschlandtour im Sommer 1991).

Die 2000er Grenze fällt

Noch vor wenigen Jahren gab es hier überhaupt keine Straßenverbindung; erst 1990 wurde der Nordkyn-Vegen eröffnet.

Wir haben wegen der schlechten sanitären Anlagen auf eine warme Dusche verzichtet und sind ohne Frühstück direkt auf den Sattel gestiegen.

Oberhalb des Fjordes finden wir an einem Wasserfall ein idyllisches Plätzchen für ein Sonntagsfrühstück. Bei bestem, angenehm warmen Wetter, können wir hier völlig ohne Mückenbegleitung in Ruhe ausgiebig frühstücken; GS sitzt dabei und wartet geduldig auf seinen Teil.

GS wartet auch seine Chance

Nach einer letzten Tasse Cappuccino machen wir uns wieder auf; immer entlang der Eismeerküste, bergauf und bergab. GS folgt uns unverdrossen, wird aber langsamer. Nach 15 Kilometern sehen wir ihn noch am gegenüberliegenden Fjordufer laufen; dann sind wir bergab zu schnell für ihn.

In Lebesby, dem "Hauptort" der Nordkinngemeinde, spricht uns ein etwa dreißigjähriger Norweger an. Von ihm erfahren wir eine Menge über diese Gegend. So wurden Ende 1945 hier alle Häuser, Brücken und Hafenanlagen auf dem Rückzug von den Deutschen gesprengt, damit die nachrückende Rote Armee nichts mehr vorfinden könne. Hier oben muss in den letzten Kriegsmonaten noch erbittert gekämpft worden sein.

Als wir uns Bekkarfjord nähern, können wir schon von weitem die steil ansteigende neue Straße erkennen - nun ja, wir waren ja vorgewarnt.

Zum Glück sind es dann "nur" 6% laut Straßenschild; allerdings auf 3,5 Kilometern. Von Begrenzungspfahl zu Begrenzungspfahl arbeiten wir uns im kleinsten Gang vorwärts; alle 500 Meter eine kurze Verschnaufpause. Es ist tierisch - aber absteigen und schieben wollen wir auch nicht. Endlich haben wir den Pass erreicht und blicken bei einer kurzen Rast zurück auf den tiefliegenden Fjord. 8% Gefälle steht hier am oberen Ende.

Für uns heißt es weiterfahren. Die Straße, sichtlich ganz neu gebaut, ist nur noch einspurig mit gelegentlichen Ausweichstellen. So schlimm, wie es im Reiseführer beschrieben ist, sieht es aber gar nicht aus: links und rechts sind noch grüne Wiesen. Leider haben wir uns aber getäuscht, als wir dachten, wir hätten schon die richtige Höhe erreicht. Immer wieder müssen wir feststellen, dass es hinter der nächsten Bergnase nochmals höher geht! Die Straße ist teilweise direkt aus dem Berg herausgesprengt worden.

Originalton Reiseführer: "Das ist sicher der ödeste Teil Norwegens, aber er ist von einer bizarren Schönheit, die ihresgleichen sucht. Das Land, ohne Baum und Strauch, ist voller Felsbrocken; die Straße führt auf abenteuerlichen Wegen dazwischen hindurch" So ist es!

Der größte Schock steht uns aber noch bevor: kurz vor dem Abstieg hinab zum Fjord nach Hopseidet sehen wir auf der gegenüberliegenden Gebirgsseite die Straße schon wieder in endlosen Serpentinen am Berg hochklettern. Ein Königreich für eine weitgespannte Brücke über den Fjord!

Wenigstens können wir die rasante Abfahrt für einige Minuten genießen; allerdings wird es dabei ungemütlich kalt. Unten, in Hopseidet, machen wir Rast fürs Abendessen: Knäckebrot mit Dosenfisch, mehr haben wir nicht. 300 Meter ist die Landenge nur breit, sonst wäre die Nordkinnhalvöya eine "echte" Insel.

Die Landenge zum Nordkyn

Drei Kilometer müssen wir uns erneut aufs Fjell Hochquälen; eine Zwischenübernachtung würde sich aber nicht mehr lohnen, denn wir sind nur noch 30 Kilometer vor Mehamn. Oben, auf der Hochfläche, wird das Radfahren aber schon fast wieder zum Genuss; im Licht der tiefstehenden Mitternachtssonne kommen wir gut voran. Auch abgebrochene Ständer am Rad können uns nicht mehr aufhalten!

Erwischt!

Schon bald erscheint vor uns in einem Taleinschnitt der kleine Hafenort Mehamn; beschienen von der Mitternachtssonne. Wir sind am Ziel: fast genau 770 Kilometer, wie vorgeplant, haben wir 9 Tagen geschafft; mit 71° 8' 1' haben wir Europas nördlichsten Festlandpunkt erreicht. Unsere erste Etappe ist hier beendet; wir werden jetzt mit dem Postdampfer der Hurtigroute weit nach Süden zurückfahren.

Zuerst aber müssen wir mal den Anlegekai der Hurtigroute finden. nachdem wir uns in einem Kiosk mit Cola, Schokolade und Chipsen versorgt haben, hilft uns ein freundlicher Norweger aus Bodö weiter, der hier regelmäßig zu Besuch ist. Er spricht sehr gut deutsch und gibt uns eine Menge Informationen. Später begleitet er uns zum Anlegekai.

Hier kommt gerade das nordwärts fahrende Schiff der Hurtigroute an. Die "Kong Olav" ist eines der elf Schiffe, die in täglichem Abstand von Bergen aus starten und fahrplanmäßig bis hoch nach Kirkenes und zurück fahren. Neben Passagieren hat es Post und Fracht an Bord. Zur Ankunft des Dampfers sammelt sich eine ganze Menge von Neugierigen am Kai.

Kurz darauf herrscht wieder Ruhe. Wir müssen noch bis 2 Uhr (nachts) warten, bis unser südwärts gehendes Schiff eintrifft. Die Zeit nutzen wir für ein warmes Süppchen. Vom Hügel aus können wir die Mitternachtssonne bewundern; sie sieht allerdings ganz "normal" aus. Da helfen die Fotografen auf den Postkartenmotiven wohl mit ein wenig Filtertechnik nach.

Um 2 Uhr tut sich gar nichts; unser Schiff, die "Narvik", erscheint mit fast einstündiger Verspätung. Im Gegensatz zur Kong Olav ist die Narvik ein riesiger Pott; fast wie eins der Fährschiffe.

Wir verladen unsere Räder bequem durch eine Verladerampe mit Aufzug; unsere Befürchtungen, wir müssten alles über die Bordwand hieven, waren zum Glück umsonst. Beim Zahlmeister buchen wir eine Kabine für 36 Stunden; aus Kostengründen nur eine 2-Bett-Kabine. Martin hat das Pech und erwischt bei der Verlosung den Schlafplatz auf dem Boden.

Die Kong Olav

Trotz des hohen Preises für Fahrt und Kabine (250 DM für jeden) lohnt sich die Fahrt mit dem Postschiff; für 36 Stunden gibt es auch genügend zu sehen und zu entdecken. Vorher aber ziehen wir uns müde in unsere Kabine zurück; die heutige Etappe war zwar nicht die längste (102 Km), wohl aber die anstrengendste (Schnitt 13,24; Max 41,5).

Montag, 27.7.

Heute wird natürlich erst mal etwas länger geschlafen; allerdings müssen wir auf den Termin des Frühstücksbuffet Rücksicht nehmen: das wollen wir uns nicht entgehen lassen! Für 60 NOK "Eintritt" betreten wir gegen halb acht das Bordrestaurant; danach wird zwei Stunden lang ausgiebig gefrühstückt - so viel, wie hineinpasst. Dabei treffen wir auch auf die "normalen" Kreuzfahrtpassagiere, meist ältere Ehepaare, vorwiegend Amerikaner. Während die sich meist mit etwas Toast, Kaffee und Orangensaft begnügen, machen wir uns zielstrebig über das Buffet her. Gleichzeitig genießen wir aus den großen Panoramafenstern den Blick auf die vorbeiziehende (trostlose) norwegische Fjordküste.

Am Vormittag legt das Schiff zu einem anderthalbstündigen Aufenthalt in Hammerfest, der nördlichsten Stadt der Welt, an. Wir haben Zeit für einen ausgiebigen Stadtbummel. Hier in Hammerfest ist in den hellen Sommerwochen wirklich was los! Wir sitzen am Marktplatz und schauen dem Treiben um uns herum zu. Es ist auch mal schön, keinen Sattel unter dem Hintern zu spüren.

Wie es der Norweger in Mehamn bereits angekündigt hat, verschlechtert sich das Wetter am Nachmittag immer mehr. Es wird immer dunkler und diesiger; gegen 16 Uhr setzt starker Regen ein, der uns vom Deck vertreibt. Bei den Kreuzfahrern macht sich gähnende Langeweile breit; die Lieblingsbeschäftigung scheint Stricken oder Lesen zu sein. Wir haben zum Glück noch unser Kartenspiel.

Die "Narvik" läuft planmäßig ihre Häfen an; dabei gibt es für uns immer etwas zu sehen. Irgendwann am Nachmittag große Aufregung: die Maschinen werden gestoppt und die norwegische Flagge heruntergeholt: draußen im Fjord zieht das Schiff des norwegischen Königs vorbei. Die Amerikaner stürzen mit Teleobjektiven und Videokameras an Deck. Die königliche Yacht grüßt, und wir können weiterfahren.

Gegen Abend müssen wir bereits die Kabine freimachen. Wir bringen unser gesamtes Gepäck schon mal zu den Fahrrädern und schnallen es fest. Dann genießen wir die Einfahrt in das abendliche Tromsö, zwischen den vielen Schäreninseln hindurch.

Um 23.30 erreichen wir den Liegeplatz in Tromsö; hier verlassen wir das Schiff. Unsere 2. Etappe soll uns - wieder per Rad - von Tromsö nach Narvik bringen. Die Schiffsfahrt war auf jeden Fall eine abwechslungsreiche Unterbrechung.

Tromsö erwartet uns mit äußerst bescheidenem Wetter. Da sich in dieser starken Bebauung kein Lagerplatz finden lässt, wollen wir die Stadt so schnell wie möglich verlassen. Dazu müssen wir aber erst einmal über die gigantische Brücke über den Sund hinüber ans Festland. Dabei bekommen wir die volle Wucht des Windes zu spüren. Am anderen Ende der Brücke kann uns auch die hell erleuchtete Eismeerkathedrale nicht locken. Im matten Licht der Straßenbeleuchtung sieht es so aus, als ob Sebastian frische Bruchstellen am hinteren Zahnrad-kranz hat. Da außerdem noch Regen einsetzt, versuchen wir unser Glück bei einem etwa 2 Kilometer entfernten Campingplatz. Dort ist natürlich alles schon geschlossen; ein freundlicher Nachtwächter lässt uns aber dennoch auf den Platz und meint, wir sähen doch ziemlich erschöpft aus; wir sollten uns am Morgen in der Rezeption anmelden.

In kürzester Zeit haben wir einen Platz festgelegt und unser Zelt aufgebaut. Während draußen der Regen herunterrauscht, verkriechen wir uns in den warmen Schlafsäcken.

Dienstag, 28.7.

Aufstehen oder nicht aufstehen? Wir entscheiden uns, zunächst ein wenig auf dem Platz zu bleiben, eventuell noch für eine zweite Nacht, falls das Wetter weiterhin so schlecht bleibt. Rings um unser Zelt stehen Pfützen; es muss über Nacht eine Menge geschüttet haben. Martin, später auch Andree, erkunden das Gelände und landen in der warmen Cafeteria. Die freundliche Serviererin kann uns auch nicht mit einem besseren Wetterbericht weiterhelfen, wohl aber mit kostenlosem Kaffee in unbeschränkter Menge. Wir nutzen diesen Service ausgiebig.

Nach dem Mittagessen, bei dem auch die umherstreifenden Katzen ihren Teil abbekommen, bessert sich das Wetter doch noch ein wenig. Wir beschließen die Weiterfahrt.

Inzwischen klappt es mit dem Zeltabbau immer besser, und wir sind am frühen Nachmittag schon wieder unterwegs. Ein großer Supermarkt am Stadtrand lädt noch einmal zum Auffüllen des Proviants ein.

Von jetzt ab folgen wir der Route aus unserem Reiseführer "Norwegen per Rad". Dadurch können wir öfter mal der viel befahrenen E 78 ausweichen und kleinere Nebenstraßen nutzen. Aus diesem Grund weichen wir auch in Fagernes von der E 78 ab und fahren in großem Bogen durch die Lyngs-Alpen; sicherlich ein großer Umweg, dafür aber wesentlich ruhiger zu fahren. Vorbei an großen Radar- und Antennenanlagen zur Erforschung des Nordlichts führt unsere Route wieder nach Norden. Gegen Abend erwischen wir gerade noch die letzte Fähre über einen Fjordarm.

Auf der anderen Seite müssen wir irgendwo einen Platz für die Nacht finden, da die Berge auf den nächsten Kilometern immer dichter an den Fjord heranrücken werden und wohl gar nichts mehr kommen wird. Erst versuchen wir es hinter einer Fabrik; dann aber finden wir einen prima gelegenen Rastplatz direkt am Fjordufer mit schönem Rasenboden. Zwei andere Deutsche haben es sich auch schon gemütlich gemacht.

Von allen bisherigen Lagerplätzen bietet dieser wohl die eindruckvollste Kulisse: direkt vom Fjord aus steigen auf allen Seiten die Gipfel der Lyngs-Alpen empor; laut Karte bis zu 1800m hoch (Siehe Titelbild).

Trotz des späten Aufbruchs haben wir noch 64 Km geschafft (Schnitt 13,55, Max 43). Nach einem heißen Frühlingssüppchen (langsam gehen unsere Vorräte zur Neige und wir müssen uns schon an das Trockenfutter halten) verschwinden wir im Zelt. Erstmals brauchen wir auch keine Mückenspirale. Den kleinen Plagegeistern scheint die Kälte und Nässe nicht gut zu bekommen.

Mittwoch, 29.7.

Das Wetter ist weder gut noch schlecht; es ist überhaupt nicht da! Nach dem Frühstück verabschieden wir uns von den Anderen auf dem Rastplatz, nicht ohne vorher mit ihrer Hilfe an ein Gruppenfoto gekommen zu sein.

Die Strecke führt bis ans Fjordende immer am Wasser entlang; dann müssen wir ins nächste Fjordtal eine kleine Bodenschwelle überwinden. Unterwegs finden wir zufällig einige Lappenzelte am Wegesrand. In Lyngseidet können wir auf der gegenüberliegenden Fjordseite bereits die starkbefahrene E 6 erkennen; wir bleiben aber zunächst auf der anderen Seite.

Im Supermarkt von Lyngseidet kaufen wir endlich auch die eingeplanten Hamburger samt Zubehör. Sie sind für das Abendessen bestimmt. Zu Mittag gibt es riesige Mengen Joghurt; zum Kaffee einen norwegischen Kuchen.

Wettermäßig haben wir am Nachmittag großes Glück: immer wieder können wir vor und hinter uns starke Regenschauer erleben; wir selbst müssen zwar immer wieder die Regenponchos anziehen, bleiben aber weitgehend verschont.

Laut Reiseführer nähern wir uns nun einem für Radfahrer gesperrten Tunnel, um den wir uns über das Fjell herumquälen sollen. Nun haben wir uns daran schon 1990 nicht gehalten; also wollen wir uns die Sache erst einmal ansehen. Der Tunnel sieht aber wirklich nicht einladend aus und scheint auch noch anzusteigen. Wir wählen also die Strecke außen um den Fjord herum und bereuen es nicht.

Martin und Andree mit dem geliebten Joghurt

Gegen Abend kommen wir doch nicht um ein kleines Stück auf der E 6 herum; der Verkehr ist wirklich enorm; viele Wohnmobile nehmen zwar auf uns Rücksicht, manche aber eben nicht, und wir bekommen dann jedesmal einen Schwall Wasser von unten ab. Wir folgen daher dem Rat unseres Reiseführers und biegen in Övergard in ein Nebental ab. Lieber Berge strampeln, als ständig am äußersten Straßenrand fahren zu müssen.

Hat jemand ein Verbotsschild gesehen?

Für heute langt es uns aber auch; wir besorgen uns Trinkwasser an einem Bauernhaus (und kommen dabei mit der ganzen Familie ins Gespräch) und suchen uns ein abgelegenes Plätzchen abseits der Straße. Inzwischen haben wir uns ganz an das norwegische Jedermannsrecht zum Campen in der freien Natur gewöhnt.

Die Hamburger-Brötchen sind inzwischen aufgetaut (haben aber auch leider ein wenig ihre Form verloren). Reihum bereiten wir uns fachmännisch die Hamburger vor. Nachdem wir 15 Stück vertilgt haben, sind wir erst einmal gesättigt. Appetit auf Hamburger verspürt in den nächsten Tagen niemand mehr...

Nach dem grossen Fr.....

Wieder haben unsere Räder 62 Kilometer zurückgelegt (Schnitt 16,2; Max 43).